westfaelische-rundschau-10-09-2002-grenzgaenge-auf-sonderbaren-wegen-durch-deutschland-rochus-aust-maerkisches-jugendsinfonieorchester-und-ze-do-rock-bei-der-25-jahr-feie

Märkischer Kreis. Gibt es nun einen deutschen Sonderweg, oder nicht? Die Historiker sind sich nicht einig , ob es einen gab, und im aktuellen Wahlkampf wird der Regierung vorgeworfen, sie schlage einen neuen Sonderweg ein. Was aktuelle Künstler dazu meinen, wurde bei dem viereinhalb-stündigen Programm deutlich, das Samstag im Rahmen der 25-Jahr-Feier der Märkisch en Kultur Konferenz (MKK) im Iserlohner Parktheater lief. Fazit: Vieles in Deutschland ist sonderbar.

„Grenzgänge“ war der programmatische Titel des Abends, der vor allem auf das Grenzen überschreitende Miteinander von Kunst, Musik und Literatur anspielt – ein zentraler Gedanke für die Arbeit der MKK. Alljährlich werden junge Vertreter aller drei Sparten mit einem Stipendium ausgezeichnet, um sie in ihr er Arbeit finanziell und ideell zu unterstützen. Einige dieser Stipendiaten präsentierten sich am Samstag im gut besuchten Parktheater. Rochus Aust macht e mit seinen Installationen den Anfang. Gleich im Eingangsbereich hatte der in Iserlohn aufgewachsene MKK-Stipendiat von 1990 etwa 1500 Playmobil-Püppchen mit Trompeten in der Hand aufgebaut. Wie putzig, hätte man meinen können. Bei genauerem Hinsehen erkannte man aber, dass die Männchen militärisch exakt in Reih und Glied standen, allesamt blond und arisch waren und eher an einen faschistoiden Aufmarsch gemahnten . Dazu hob Rochus Aust zu einem ohrenbetäub enden Geschrei an, das an einen japanischen Befehlshaber erinnerte , und marschierte unter grellem Trompeten-Geheul im Stechschritt durch das Theater. Das war dann überhaupt nicht mehr so putzig.

Zehn solcher Installationen aus neuer Musik, virtuell er Kunst und Performance, die alle schon an anderen Orten ausgestellt wurden, hat er unter dem Titel „retroXpect“ im ganzen Parktheater aufgebaut. Und bei vielen gilt das Motto: Der erste Schein trügt. In den meisten Fällen verbirgt sich gerade vor dem Hintergrund der besonderen deutsch en Geschichte eine knallharte politisch-gesellschaftliche Aussage dahinter. Im Anschluss daran wurde es dann geradezu urdeutsch romantisch. Das Märkische Jugendsinfonieorchester, das einst von einem MKK-Stipendiaten gegründet wurde, spielte im großen Saal das „Siegfried-Idyll“ aus Wagners „Ring des Nibelungen“. Mit durchaus reifem Ton bewältigten die jungen Musikschüler ihr anspruchsvolles Programm und zeigten mit Dvoráks siebter Symphonie, dass es anderenorts in Europa zur gleichen Zeit sehr viel schwungvoller und heiterer zuging.

Sprache durch den Wolf gedreht

Für einen skurrilen Schlusspunkt sorgte dann der aktuelle Literatur-Stipendiat Zé do Rock, indem er die deutsche Sprache durch den Wolf drehte und mit seinem selbst entwickelten „Ultra-Doitsch“ eine recht eigenwillige Alternative und überaus verschrobene Geschichten bot. Auch wenn sich das Publikum dabei vor Lachen bog – bloßer Klamauk war das nicht. Rock stimmte über einige deutsche Besonderheiten nachdenklich. Etwa darüber, dass immer mehr Worte von rechten Gruppen in Beschlag genommen und so im normal en Gebrauch tabuisiert werden. So fürchtet er, dass schon bald das Wort „Ausländer“ zu eine m Schimpfwort wird und im Wahn der Political Correctness durch „ausländische Mitmenschen“ ersetzt wird. Das wäre wohl einzigartig auf der Welt und ebenfalls Teil der besonderen Verhältnisse in Deutschland.